Gewaltprävention konkret

Intervention bei Konflikten in Schulklassen - wie alles anfing:

Eine Klasse hat Probleme ...

Vier Fälle - vier Angebote an die Klassen, wie sie ihre Probleme in den Griff bekommen können.

Die Fälle A und B beschreiben (reine) Klassenmoderationen bei Konflikten. Zeitbedarf: ca. 2-2 1/2 Stunden. In den Fällen C und D geht es um 2-2 1/2 - tägige Workshops, in denen es speziell um das Thema "Ausgrenzung" geht bzw. darüberhinaus, wie die Klassengemeinschaft und die Arbeitssituation in der Klasse verbessert werden können.

Zur Situation an unserer Schule:

Es gibt Angebote, SchülerInnen zu helfen, ihre Konflikte zu lösen. Wir haben ausgebildete StreitschlichterInnen, die an drei Tagen in der Woche in unserem Streitschlichtungsraum Dienst haben. Hier können Konfliktpartner mit Hilfe eines unparteiischen Dritten ihre Konflikte bearbeiten. Die Devise ist immer: wir suchen eine Lösung, mit der beide Parteien zufrieden sind. Für ganze Klassen ist in unserem Raum allerdings kein Platz. Auch für die StreitschlichterInnen ist die Arbeit mit ganzen Klassen ein Sonderfall. Aber warum soll etwas, das mit wenigen Beteiligten funktioniert, nicht auf größere Gruppen übertragbar sein? Angemessene Zusatzregelungen müssen natürlich gefunden werden. Gute Anregungen, wie man mit großen Gruppen Konflikte bearbeiten kann, findet man in: Informationen zur Schulberatung Heft 13: "Klassenmoderation bei Konflikten auf der Grundlage der Themenzentrierten Interaktion" (Herausgegeben vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung).

Warum mit ganzen Klassen arbeiten?

Insgesamt hat es sich für mich als sinnvoll erwiesen, ganze Klassen in ihrer Konfliktbearbeitung zu begleiten. Auch wenn die Arbeit in der Streitschlichtung mit einzelnen Konfliktparteien gute Erfolge zeigt, gibt es häufig genug Fälle, bei denen deutlich wird, dass sich für die einzelnen u.U. neue Probleme abzeichnen, die sich durch die Konstellationen ergeben, die in ihrer Klasse vorherrschen. Das hält in der Tat auch viele SchülerInnen davon ab, die Streitschlichtung überhaupt in Anspruch zu nehmen, weil sie sich eine grundlegende Verbesserung in ihrem gesamten Umfeld nur schlecht vorstellen können. Konkret heißt das: "Selbst wenn wir etwas anderes wollen - einige wenige bestimmen das Geschehen in der Klasse. Wenn wir nicht ganz untendurch sein wollen, machen wir besser mit." Hier reicht m.E. die traditionelle Konfliktbearbeitung allein nicht aus. Das Bewusstmachen und Arbeiten am Thema "Machtkonstellationen" kann beispielsweise eine gute Ünterstützung sein. Ziel einer solchen Arbeit muss sein, dass die vielen, die nicht zu denjenigen gehören, die die Geschehnisse in der Hauptsache beeinflussen, sich ihrer Möglichkeit der Einflussnahme bewusst werden und auch lernen sie zu nutzen. Das ist aber viel leichter gesagt als getan. Ein gutes Mittel, auf neue Verhaltensweisen ersteinmal zu kommen (hier ist viel Phantasie gefragt) und das Ganze dann auch noch einzuüben, ist das sogenannte Eingreif-Theater, das Augusto Boal entwickelt hat. Die Idee, die dahinter steckt, ist: Wenn ich etwas im Spiel schon einmal ausprobiert habe, habe ich ganz gute Chancen, dass mir in der Realität auch verschiedene Verhaltensmöglichkeiten überhaupt einfallen. Bei angemessenem Training ist dann der nächste Schritt: der Einsatz in der Realität.

Hier eine Übersicht über die Themen der vier Fälle:

Fall A, Klasse 5: Ein Störenfried unter uns - "wo Thomas auftaucht, gibt es immer Probleme".

Fall B, Klasse 8: "Hilfe, wir kommen nicht miteinander klar" - der Graben zwischen Klasse und Lehrerin verfestigt sich.

Fall C, Klasse 8: "So wollten wir das doch nicht" - Eine Klasse ist erschrocken über das eigene Verhalten: Ein Fall von Ausgrenzung.

Fall D, Klasse 7: Noch ein Fall von Ausgrenzung - "... und überhaupt wünschen wir uns eine bessere Klassengemeinschaft und weniger Unterrichtsstörungen"

Gewaltprävention konkret: Intervention bei Konflikten in Schulklassen

Die Fälle

Zum Adressatenkreis, an den sich die Beschreibungen richten:

Zunächst natürlich soll es denjenigen, die bisher noch gar nicht mit solch einer Arbeit in Berührung gekommen sind, einen ersten Einblick geben, wie soetwas konkret aussehen kann. Bezogen auf die Fälle A und B kann ich mir vorstellen, dass diejenigen, die Erfahrung in den Bereichen "Mediation (Streitschlichtung)", "Kollegiale Fallberatung" oder "Supervision" haben, sich ermuntert fühlen, es selbst einmal auszuprobieren. Deshalb hier die recht ausführlichen Fallbeschreibungen.

Fallbeschreibungen (Verwendete Namen wurden geändert):

Fall A, Klasse 5: Ein Störenfried unter uns - "Wo Thomas auftaucht, gibt es immer Probleme"

Die Vorgeschichte:

In meiner Eigenschaft als Ausbilderin der StreitschlichterInnen wurde ich von der Klassenlehrerin angesprochen, ob es auch möglich sei, mit einer ganzen Klasse eine Schlichtung durchzuführen. Sie schilderte die Situation folgendermassen:

"In meiner 5 gibt es einen Schüler, der quasi täglich bei irgendwelchen Raufereien oder sonstigen Vorkommnissen beteiligt ist. Sowohl er nimmt jede Gelegenheit wahr, `mitzumischen´, aber auch die anderen verstehen es natürlich, ihm immer wieder Anlässe zu geben, auf die er nur zu gerne reagiert. Könnt ihr da irgendwie aktiv werden?"

Michaela, Streitschlichterin aus der Jahrgangsstufe 11, und ich erklärten uns bereit, uns um diesen Fall zu kümmern. Wir haben eine Klassenmoderation für die folgende Woche angeboten. Als Zeitrahmen sind wir von 2 Schulstunden ausgegangen. Länger kann sich eine Klasse 5 in der 4. und 5. Stunde ohnehin nicht konzentrieren.

Vorbereitung der Klassenmoderation:

In einer gemeinsamen Freistunde haben Michaela und ich die Gesprächsregeln, die während der Klassenmoderation gelten sollten, zusammengestellt und auf ein grosses Plakat geschrieben. Zu unserer eigenen Vorbereitung haben wir uns das Heft 13 (s.o.) zur Klassenmoderation vorgenommen um irgendwelche Anregungen zu bekommen, wie wir unseren Leitfaden zur Streitschlichtung abbändern können, damit man überhaupt in dieser so anderen Konstellation mit einer ganzen Klasse arbeiten kann. Am Ende dieses Vorbereitungstreffens sind wir so verblieben, dass wir uns im Wesentlichen am Leitfaden für `Klassenmoderation bei Konflikten ...´ entlanghangeln/orientieren wollen. Wir haben uns darüberhinaus vorgenommen, an entsprechenden Stellen Akzente zu setzen, die wir aus unserer Erfahrung in der Streitschlichtung für wichtig halten.

Die Materialien, die gebraucht werden:

- Gesprächsregeln auf Din-A3 Plakat (wird für alle sichtbar aufgehängt)

- Din-A5 Zettel/Kärtchen (liegt in der Mitte des Stuhlkreises)

- Eddings; Stifte (Mitte)

- leere Plakatbögen (um Vereinbarungen festzuhalten)

Ablauf der Klassenmoderation:

Zur Übersicht hier der Leitfaden den ich nach zwei Klassenmoderationen für meine Arbeit zusammengestellt habe:

Bei der Beschreibung unserer Klassenmoderation beschränke ich mich auf Besonderheiten, die uns wichtig erschienen. Weiter Erläuterungen zur Wichtigkeit / Bedeutung einiger Phasen sind im oben erwähnten Heft 13 zu finden. Die Grundlagen sind dort meiner Meinung nach gut dargestellt.

Zurück zu unserer Klassenmoderation in Klasse 5:

Die Punkte 1-3 des Leitfadens werden in relativ kurzer Zeit abgehandelt. Alle Parteien haben sich einen Überblick über die Ausgangssituation (inklusiv der Auftragsklärung) verschafft und auf die weitere Vorgehensweise verständigt: 2 Stunden sind die maximale Zeit; am Ende soll auf jeden Fall stehen, dass sich die Parteien auf Lösungs-/Änderungsmöglichkeiten verständigt haben. Die Klasse spricht sich auch dafür aus, dass die Klassenlehrerin teilnimmt.

Zu Punkt 4 des Leitfadens in meinem Leitfaden: Schilderung des Konflikts:

Als wir die Phase einleiten, weisen wir noch einmal darauf hin, dass es wichtig ist, sich gegenseitig gut zuzuhören. In der anschliessenden Phase soll nämlich jede Seite in die Rolle des Anderen schlüpfen.

Als erstes wird dann Thomas gebeten zu schildern, wie er aus seiner Sicht das Problem, das die Klasse 5 hat, sieht.

Erläuterung:

Es wird bewusst diese Formulierung gewählt, damit von Anfang an klar ist, dass nicht Thomas das Problem ist. Vorab haben wir uns bei Punkt 2 ausgiebig rückversichert, wieweit Thomas selbst dieses Gespräch in der Klasse so wünscht. Thomas versichert, dass er einverstanden ist, so vorzugehen. Das ist ganz wichtig. Denn eigentlich widerspricht dieses Vorgehen dem Prinzip: "Einzelne SchülerInnen nicht zum Fall machen." Da aber die Situation zu dem Zeitpunkt ohnehin so war, dass die Klasse ständig Thomas sozusagen `zum Fall gemacht´ hat, indem sie sich beispielsweise gehäuft bei Lehrerinnen über ihn beschwerten oder ihn in anderer Weise als Angriffsziel nahm, fanden wir es legitim, in dieser Klassenmoderation von Anfang an von zwei Konfliktparteien auszugehen. Auf der einen Seite Thomas - auf der anderen Seite die restlichen Mitglieder der Klasse.

Weil diese Konstellation problematisch ist, muss während der Sitzung alles getan werden, dass Thomas nicht in die sonst übliche `Sündenbock- / Übeltäter- Rolle´ gerät. Das hilft niemandem und wirkt sich garantiert störend aus, wenn es darum geht Lösungen zu finden, mit denen beide Parteien einverstanden sind. (Prinzip aus der Streitschlichtung: es geht nicht um die Frage: "Wer hat Schuld?".)

Als Thomas mit seiner Schilderung beginnt, haben Michaela und ich beide den Eindruck, dass wir eine Atmosphäre geschaffen haben (die fällt nämlich nicht vom Himmel), in der Thomas sich wohl / angenommen / nicht an den Pranger gestellt fühlt und so die gewünschten Voraussetzungen gegeben sind.

Thomas´ Schilderung fällt recht kurz aus. Es wird aber schon deutlich, wo Probleme liegen. Er schildert einige Aktionen, in denen er als Hauptakteur in unterschiedlicher Weise die Aktion bestimmt (Sachen wegnehmen; Mädchen schubsen; Kloppe anfangen; im Unterricht stören ...). Es ist ihm auch wichtig zu zeigen, dass es noch weitere `Hauptakteure´ gibt, die Vorfälle / Situationen anheizen bzw. ins Leben rufen.

Wir weisen während der Schilderung einige Male auf die Gesprächsregeln hin. Vor allem: "Sprich per `ich´; keine Beschuldigungen".

Michaela und ich haben auch an ein oder zwei Stellen Nachfragen. Wir kannten beide die Klasse vorher nicht und hatten auch noch nie etwas über ihre Probleme gehört. Ich emfinde das in dieser Situation als Vorteil. Alle Beteiligten merken: Die Gesprächssituation ist echt. Alle müssen sich anstrengen, uns die Situation nahezubringen.

Als die andere Partei aufgefordert wird, ihre Sicht der Dinge zu schildern, fügen wir eine Zusatzregel ein. Da wir nicht die Zeit haben, dass jeder seine Sicht einbringen kann, verweisen wir auf die mitgebrachten Zettel und Stifte, die in der Mitte unseres Kreises liegen: "Wer merkt, er muss uns noch etwas wichtiges mitteilen, schreibt es auf. Wir sehen uns hinterher alles an und können uns so ein genaues Bild von der Situation machen."

Diese Phase empfinde ich insgesamt als die schwierigste. Ganz viele SchülerInnen möchten nämlich doch zu Wort kommen. (Es entspricht ja auch dem Prinzip aus der Streitschlichtung: "Jeder bekommt die Gelegenheit, den Fall aus seiner Sicht zu schildern". Es ist die Grundlage für alles, was danach kommt.)

Michaela und ich haben zwar nach einer Weile den Eindruck, einen ausreichenden Einblick in die Situation zu haben - aber es sind noch zu viele, die doch noch was ganz Wichtiges anbringen müssen. Schliesslich gelingt es uns doch, die Phase abzuschliessen. Viele haben auch von der schriftlichen Äusserungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Auch bei dieser Partei mussten wir zwischendurch immer Mal wieder auf die Gesprächsregeln verweisen ("sprich per `ich´; keine Beschuldigungen").

Wir merken an dieser Stelle, dass wir Recht hatten mit unserer Vermutung, dass uns für die in Heft 13 vorgeschlagene Aspekterweiterung - "Was gibt es Positives bei Euch?" - die Zeit fehlen würde. Ich empfinde es auch in der Situation nicht als problematisch. Die Atmosphäre `stimmt´ und wir können ohne Umschweife am Problem weiterarbeiten.

Zu Punkt 5: Identifikation mit der anderen Seite:

Auch dieses ist wiederum eine recht heikle Phase. Hier müssen die ModeratorInnen erstens abschätzen, ob das, was gesagt wurde, überhaupt dazu ausreicht, dass sich die Konfliktparteien in die Gegenposition einfühlen können - wenn wir vermeiden wollen, dass nur Banalitäten ausgetauscht werden. Zum zweiten wird die Forderung an die SchülerInnen, aus der Sicht des Anderen zu sprechen, höchstwahrscheinlich neu für sie sein. Hier ist es hilfreich, konsequent auf die ritualisierte Eingangsformel hinzuweisen: "Ich als A /B ..."

Erläuterung

Die Phase an dieser Stelle hat zwei wichtige Funktionen. Sie soll der jeweiligen Gegenseite zeigen: "Ich habe dich so verstanden ...; Ich sehe, dass du ... folgendermassen siehst ...". Dabei fällt natürlich auch für die eigene Person ein insgesamt besseres Verständnis der Situation ab. Der zweite Effekt, der meistens dabei eintritt, wenn es gut läuft, ist, dass sich aus dem, was hier gesagt wird, schon - ganz von selbst - Lösungsmöglichkeiten auftun. Das wiederum macht meistens die Phase 6 (Brainstorming zu Lösungsmöglichkeiten) überflüssig. Verständlicherweise ist es für den Erfolg der Konfliktregelung günstiger, wenn sich auf diese Weise schon hier Lösungsmöglichkeiten andeuten. Diese resultieren so aus einem besonderen Verständnis der anderen Seite. Es ist nicht verwunderlich, dass dies eine gute Basis dafür ist, dass die (hieraus resultierenden später) anvisierten Lösungen auch Erfolgschancen haben. Deswegen ist es ratsam sich viel Zeit zu nehmen und viel Sorgfalt auf diese Phase zu verwenden.

In unserem Fall stelle ich Thomas noch einige Nachfragen, die mein / unser Bild etwas mehr abrunden. Vor allen Dingen möchte ich wissen, wie er sich in den von ihm geschilderten Situationen fühlt, ob er seine Motive für sein Handeln nennen kann, was ihm überhaupt bei all dem wichtig ist. Nach dieser Abklärung (Grundlagenerweiterung) beginnt Thomas mit der Identifikation mit der anderen Seite.

Er wird aufgefordert, sich nacheinander in verschiedene MitschülerInnen hineinzuversetzen und jedesmal zu beginnen mit: "Ich als Katrin; Tim; Mario ..."

Auch hier sind seine Ausführungen relativ kurz. Es macht ihm sichtlich Mühe, die Perspektive des Anderen überhaupt einzunehmen. Aber noch viel schwieriger ist es für ihn, dies unkommentiert zu lassen. Hier müssen wir allerdings ganz konsequent sein und fordern immer wieder das korrekte Vorgehen ein. Streckenweise gelingt es Thomas auch, so zu verfahren.

Als Thomas auch auf Nachfrage nicht weiter fortfahren möchte, füge ich noch hinzu, was ich noch zusätzlich gehört habe aus den Schilderungen der anderen (Vervollständigung der Grundlagen). Thomas stimmt daraufhin zu, dass auch er das gehört hat.

Wir holen uns an dieser Stelle die Rückmeldung der Klasse ein, ob das Bild, das nun entstanden ist, auch in ihren Augen richtig ist. Es erfolgt Zustimmung.

Auch die anderen SchülerInnen haben, wie zuvor Thomas, anfängliche Schwierigkeiten mit der ordnungsgemässen Identifikation mit der anderen Seite. Nach einer Weile läuft es dann schliesslich aber sehr gut. Sie sind kaum noch zu bremsen und sagen letztlich viel mehr als Thomas uns überhaupt erzählt hat. Ich mache sie an irgendeinem Punkt darauf aufmerksam, bitte sie in diesem Fall aber genau so weiter zu machen. Ich ermuntere sie weiterhin, in ihrer Identifikation Phantasien zu entwickeln, die uns ja nur helfen können, für unseren nächsten Schritt. In der Tat haben Michaela und ich den Eindruck, dass die SchülerInnen in ihren Phantasien ein sehr treffendes Bild von Thomas, seinen Motiven, den Hintergründen und auch von der Situation zeichnen. Wir registrieren, dass auch Thomas sehr zufrieden ist. Es scheint ihm gut zu tun.

Kurz vor Ende unserer Zeit müssen wir auch diese Phase beenden, obwohl die SchülerInnen noch weitermachen könnten. Zum Abschluss holen wir uns noch Thomas´ Rückmeldung ein. Wir möchten wissen, ob die Identifikationen insgesamt seiner Meinung nach ein richtiges Bild wiedergeben und was für ihn besonders zutreffend war.

Unsere Vermutung war richtig. Thomas sieht sich gut wiedergegeben. Es gelingt ihm auch, die für ihn wichtigen Aspekte zu nennen.

7. Einigen auf Lösungen:

Der nächste Schritt ist nun leicht. Wir bitten alle, jeder für sich, auf einen Zettel zu schreiben, was sie sich vornehmen, damit die Situation, die ihnen nicht gefällt, besser wird. Einiges von dem sammeln wir daran anschließend auf dem mitgebrachten Plakat, um es öffentlich - und so verbindlicher - zu machen. Wir bitten die SchülerInnen ihren Zettel aufzubewahren, damit sie nachsehen können, was sie sich vorgenommen haben.

Es sei hier noch erwähnt, dass die SchülerInnen sich richtig gute Sachen haben einfallen lassen. Nicht nur so etwas wie: "Ich fange keine Kloppe mehr an; Ich provoziere ... nicht mehr... oder: Ich sage etwas, wenn ich nicht will, dass jemand Thomas ärgert, sondern auch: Ich nehme mir vor, Thomas anzurufen oder: Ich will in Zukunft in den Pausen auch Mal mit Thomas über den Schulhof gehen." Auch Thomas bietet der Klasse einige Dinge an, mit denen alle zufrieden sind.

8. Vereinbarung des Nachfolgetreffens:

Zum Schluss vereinbaren wir noch das Nachfolgetreffen, bei dem sie uns berichten können, wie es geklappt hat, die Vorsätze in die Tat umzusetzen.

9. Nachfolgetreffen:

Zwei Wochen später erfahren Michaela und ich von ganz vielen, dass sich etwas geändert hat. Als eine Schülerin meint, dass Thomas immer noch Mädchen schubst und ganz viel im Unterricht stört, erntet sie Protest, von Mädchen wie von Jungen. Wir alle sind uns einig, dass sich nicht schlagartig alles ändern kann, dass aber eindeutig ein Anfang geschafft ist. Die Klassenlehrerin stimmt dem zu.

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Fall B, Klasse 8: "Hilfe, wir kommen nicht miteinander klar" - der Graben zwischen Klasse und Lehrerin verfestigt sich.

Die Vorgeschichte:

Die Kollegin ist Fachlehrerin in der Klasse 5, in der wir die Klassenmoderation gemacht haben. Sie spricht mich an und fragt, ob ich soetwas auch in der Klasse 8 mit ihr und der Klasse durchführen könne. Sie hat in der 5 eine deutliche Veränderung bemerkt und meint, dass sich auch in ihrem Fall der Versuch lohne, das Problem einmal auf diese Weise anzugehen. Im Gegensatz zur Klasse 5 ist mir die Klasse 8 aus Gesprächen im Lehrerzimmer oder mit dem Klassenlehrer bekannt. Sie gilt als eher schwierige Klasse. Es gibt einige verhaltensauffällige Schüler. Aus früheren Gesprächen mit der Fachlehrerin und auch dem Klassenlehrer weiss ich, dass sich innerhalb eines halben Jahres ein ziemlicher Graben zwischen Klasse und Lehrerin entwickelt hat. Die Klasse hat eigentlich von Anfang an dem vorhergehenden Fachlehrer nachgetrauert. So viel zum Fall.

Nachdem ich vom Klassenlehrer gehört habe, dass auch die Klasse den Wunsch hat, eine Klassenmoderation durchzuführen, haben wir uns auf den nächstmöglichen Termin hierfür geinigt. Kollegin K. macht mit mir gemeinsam die Moderation, der Klassenlehrer ist auch anwesend. Eine Streitschlichterin steht leider nicht zur Verfügung - es ist Klausurzeit.

Da es sich in diesem Fall um einen Konflikt zwischen Lehrerin und SchülerInnen handelt, erwarten wir keine ganz leichte Moderation.

Die Klassenmoderation:

Da die Moderation in Klasse 5 ausführlich geschildert wurde, soll hier nur davon Abweichendes beschrieben werden.

In der 8 wollen wir mit der Problemschilderung durch die SchülerInnen beginnen. Hier kommen wir allerdings nicht sehr weit. Die SchülerInnen trauen sich nicht, ihre Sicht offen auszusprechen. Wir bieten ihnen daraufhin an, dass jeder seine persönliche Sicht des Problems anonym auf die bereitliegenden Zettel schreibt. Das funktioniert. Die Moderatorinnen lesen alles vor und haben den Eindruck, dass ein der Situation entsprechender Einblick gegeben wurde.

Die Schilderung durch die Lehrerin klappt ohne Probleme. Auch die Identifikation mit der anderen Seite gelingt den Konfliktpartnern. Aber hier wird der Phantasie nicht so sehr freien Raum gelassen, wie das in der 5 der Fall war. Das bedeutet, dass noch nicht so viele Lösungsmöglichkeiten quasi mitgeliefert worden sind. Dafür bleibt uns hier sehr viel mehr Zeit für die Phase des Einigens auf Lösungen. Wir können hier die sehr strukturierte Form wählen, wie sie im Leitfaden unter Punkt 7 beschrieben ist (bei ausreichend Zeit: ...). Während der Erstellung des Kartenszenarios zu den Lösungsvorstellungen regen die Moderatorinnen wiederholt dazu an, Zwischenschritte einzubauen, bzw. fragen konkret nach, mit Blick auf den Konfliktpartner, ob noch andere Angebote möglich sind.

Am Ende wird das Ergebnis in der Klasse aufgehängt. Beide Konfliktparteien sind der Meinung, dass sie sich auf das Ergebnis einlassen können.

Beim Nachfolgetreffen betonen beide Parteien, dass sich die Atmosphäre deutlich gebessert hat. Einige kleine Punkte dessen, was sie sich vorgenommen hatten, konnten auf beiden Seiten realisiert werden. Die Klasse wünscht sich allerdings für die nächste Zeit noch einmal eine Konfliktbegleitung zum Thema: "Weniger Unterrichtsstörungn - wie schaffen wir das?"

Die Fälle C und D - zwei Fälle von Ausgrenzung

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Fall C, Klasse 8: "So wollten wir das doch nicht" - Eine Klasse ist erschrocken über das eigene Verhalten: Ein Fall von Ausgrenzung.

Die Vorgeschichte:

Die Klassenlehrerin der 8, in der ich Englisch und Politik unterrichte, erzählt mir in einer Freistunde von einem Vorfall in `unserer Klasse 8´. Es handelt sich um einen derben Fall von Ausgrenzung. Die SchülerInnen waren allerdings selbst so erschrocken darüber, dass sie an diesem Tag um eine Verfügungsstunde baten, um darüber zu reden, was denn da eigentlich passiert war. Die Verfügungsstunde endete mit der Erkenntnis: "Wir finden nicht gut, was da passiert ist, aber wir wissen nicht, was wir tun können, damit so etwas nicht mehr vorkommt".

Zur selben Zeit habe ich gerade die Beschreibung des Workshops, den ich zu genau diesem Thema anbiete, fertiggestellt. Nachdem die Klassenlehrerin die Beschreibung gelesen hat, stimmen wir beide darin überein, dass wir eigentlich diesen Workshop mit unserer 8 machen müssten. Danach geht alles ganz schnell. Die Schulleitung stimmt zu und der Workshop findet eine Woche später statt. Die beteiligten Lehrerinnen: Die Klassenlehrerin, Kollegin K. und ich als Moderatorinnen. Da der Klassenlehrerin die Art der Arbeit sehr nahe ist, agiert sie sehr schnell in der Rolle der Moderatorin, wo sie gebraucht wird bzw. nimmt auch sonst am Geschehen Teil. Das wirkt sich insgesamt als sehr günstig auf die gesamte Arbeitsatmosphäre aus. Keiner hat das Gefühl es gibt ZuschauerInnen, die mit dem Ganzen eigentlich gar nichts zu tun haben.

Der Workshop:

Anders als bei den Klassenmoderationen möchte ich hier die Durchführung des Workshops nicht so detailliert schildern. Dort werden grösstenteils Übungen und Spiele gemacht, die jeder, bevor er einen solchen Workshop durchführt, möglichst auch selbst gemacht haben sollte. Hier soll im Wesentlichen versucht werden, einen Eindruck von den beiden mehrtägigen Workshops zu vermitteln. Deshalbhierzunächst einfach die Beschreibung des Workshops:

Workshop zum Thema:

Vorurteile - Rassismus - Ausgrenzung

oder:

Mit Unterschieden leben lernen

Wir sind in unseren unterschiedlichen Lebensbereichen häufig mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert. Hieraus ergeben sich nicht selten Verletzungen, Ausgrenzung, Isolierung ... einzelner oder auch ganzer Gruppen.

Der Workshop wendet sich an Menschen, die in ihren Lebensbereichen (Familie, Freunde, Schule, Beruf ...) etwas dafür tun möchten, dass Rassismus, Diskriminierung, Ausgrenzung ganz allgemein weniger Chancen haben. Wie das aussehen kann, was jeder konkret in seinem Alltag tun kann, davon haben wir häufig nur vage Vorstellungen. Auch dieser Workshop kann keine Patentrezepte liefern. Er soll vielmehr den Teilnehmenden durch Erfahrungslernen (in Übungen und Spielen) die Möglichkeit eröffnen, Dinge in einem neuen Licht zu sehen und so eventuell zu neuen Sichtweisen zu gelangen.

Als Arbeitsgrundlage soll deshalb von den folgenden 3 Schritten zur Verständigung ausgegangen werden:

1. Mich selbst besser kennenlernen (Warum tue ich was?)

2. Wissen über die anderen (Alles, was Menschen tun, ist für sie "das Richtige". Je mehr es mir gelingt, nachzuvollziehen, warum der andere etwas tut, desto wahrscheinlicher ist es, daß Verständigung, d.h. Kommunikation darüber mit ihm möglich ist.)

3. Was sind meine Grenzen? (Was will / kann ich, was nicht. Gefahren einschätzen.)

Alle Übungen des Workshops lassen sich auf diese drei Schritte zurückführen. Eine Klärung dieser Schritte ermöglicht mehr Einfühlungs- und Wahrnehmungsvermögen und so mehr Klarheit für das eigene Handeln.

Bei ausreichend Zeit werden am Ende des Workshops eigene Fälle der TeilnehmerInnen mit Hilfe des Eingreif-Theaters nach Augusto Boal bearbeitet.

Grundlagen des Seminarkonzepts

Der Ansatz orientiert sich an der Arbeit von Lida van den Broek, Amsterdam ("Am Ende der Weißheit", Orlanda Verlag) und der Arbeit des Bildungsvereins Kantharos, Berlin und Amsterdam.

Die Durchführung des Workshops:

Hier zunächst die Beschreibung zweier Übungen, auf die ich etwas näher eingehen möchte um einige Tendenzen deutlich zu machen. Weitere Einsicht in den Ablauf des Workshops gibt der Anhang.

 -- Die andere Seite (45 Min.)

Prinzip der Übung: Es wird jeweils eine kategoriale Zuordnung zu sozialen / gesellschaftlichen Gruppen gegeben

Ziel: Einblick in eigene Unterdrückungserfahrungen / Erfahrungen mit Minderheiten-Positionen gewinnen

Arbeits-/Organisationsform: Die Gesamtgruppe steht auf einer Seite des Raumes. Die Moderatorin liest vor (starke Ritualisierung; keine Gespräche der TN; jeder TN entscheidet, ob er jeweils wechseln will): 'Alle, (die) ...

Mädchen; Einzelkinder; deren Muttersprache nicht deutsch ist ... (sind), gehen bitte auf die andere Seite. Seht Euch an, wer auf Eurer Seite steht. Seht Euch an, wer auf der anderen Seite steht. Geht jetzt bitte wieder zurück.

Auswertung im Plenum (Gefühle beim Wechseln der Seiten, beim Dableiben, in der Gruppe)

Weiterführung: Bündnispartner - Wenn es einen Bündnisgenossen gäbe, wie müßte er sein? Was müßte er tun? Gibt es aus diesem Kreis jemanden, den Ihr Euch als Bündnispartner vorstellen könnt? - Eigenschaften werden aufgelistet.
 
 

- Das Brezelspiel (30-40 Min.)

Ziel: Ausgrenzen / Integrieren; Mechanismen und Konflikte zwischen Besitzenden und Besitzlosen erleben

Arbeits- / Organisationsform: Zwei Gruppen mit ungleicher Personenzahl. Die größere Gruppe besitzt je eine Brezel 1 eine Tüte Gummibären o.ä.; die kleinere Gruppe wird (z.B. mit Klebestreifen an der Kleidung) markiert, erhält aber nichts.

Spielanweisung: "Die Gummibären / Brezel sind überlebenswichtig. Ziel der kleinen Gruppe muß also sein, Brezel zu bekommen, Ziel der Großgruppe, sie zu behalten." Beide Gruppen haben nur wenige Minuten Zeit, sich eine Strategie zu überlegen, dann wird das Spiel eröffnet.

Auswertung: Wahrnehmungen / Empfindungen der Agierenden (einzeln, in der Gruppe)

"Welche Strategien verfolgten die Gruppen / Einzelne? Wie fühltest Du Dich in Deiner Rolle? Wie seid Ihr mit Eurem Umgehen miteinander klargekommen? Habt Ihr gemeinsam agiert, um die Situation zu lösen? Welches Verhalten habt Ihr von der jeweils anderen Gruppe erwartet?

Diese und noch weitere Übungen sind beschrieben in: Mit Unterschieden leben lernen, Training zur Förderung der interkulturellen Kommunikationsfähigkeit, Bausteine zum interkulturellen Lernen, Herausgeber: Stadt Dortmund, RAA Dortmund

Zurück zur Durchführung:

Insgesamt spricht es die SchülerInnen sehr an, was wir in diesen zweieinhalb Tagen so alles machen. Die Erfahrung, den Workshop mit SchülerInnen in dieser kompakten Form durchzuführen ist für mich auch neu. Bis dahin hatte ich vorwiegend mit LehrerInnen gearbeitet. Schnell merke ich, dass wir mit SchülerInnen mehr Programm unterbringen können, da die Auswertungsphasen nach den jeweiligen Übungen kürzer ausfallen. Dieses ist überhaupt ein schwieriger Punkt. Wir alle merken, die Phasen sind wichtig, aber die Konzentrationsfähigkeit hat hier natürlich Grenzen. Wir müssen aufpassen, dass wir die Kapazitäten der SchülerInnen nicht überstrapazieren. Aber zu den Vereinbarungen, die wir zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit getroffen haben, gehört: "Meldet eure Wünche an. Ihr bestimmt zu einem grossen Teil auch den Ablauf mit!" Ein Spruch, der mir in dem Zusammenhang von diesen zwei Tagen noch im Ohr ist: "Machen wir noch `ne Übung?". Das war für uns dann das Signal mit unserer Fazit-Runde (der Begriff für unsere Auswertungsphasen) zum Abschluss zu kommen.

Speziell eingehen möchte ich an dieser Stelle auf zwei Übungen. Ein Kernstück des Workshops ist die Übung "Die andere Seite" Hier sind die SchülerInnen aufgefordert, sich als Angehörige ganz unterschiedlicher Gruppen, die nacheinander aufgerufen werden, zu erkennen zu geben (s. Beschreibung oben). In manchen Fällen (z.B. alle, die: behindert; in ihrer Familie mit dem Problem "Drogen" oder "Alkohol" zu tun haben; in ihrer Familie von dem Problem Arbeitslosigkeit betroffen sind; bei einem Elternteil aufwachsen; die schon mal dabei aufgefallen sind, dass sie andere diskriminiert haben) braucht man dazu ganz schön viel Mut. Deswegen wird noch einmal besonders betont: "Ihr entscheidet, ob ihr euch als Angehörige der entsprechenden Gruppen zu erkennen gebt oder nicht." Im Auswertungsgespräch wird deutlich: die SchülerInnen fanden die Übung extrem "geil", wie sie sich ausdrücken. Am liebsten hätten sie noch eine ganze Weile weiter gemacht. Das Gute war für sie, ganz viel von den Anderen zu erfahren - und zwar ziemlich Wichtiges - und selbst Mut aufgebracht zu haben, auch zu heiklen Sachen zu stehen. Am Ende haben sie den Eindruck, dass sie sich auf relativ schonende Weise viel mitgeteilt haben.

Zum Schluss noch ein paar Eindrücke zur letzten Übung des zweiten Tages - "Das Brezelspiel" (Beschreibung s. o.). Hier muten wir den SchülerInnen einiges zu. Promt platzt auch zu Beginn der Auswertung eine Schülerin heraus. "Frau Hubbig, warum mussten wir diese Übung noch machen? Jetzt sind wir wieder zerstritten! Es war doch die ganze Zeit so gut!" Ich kann sie beruhigen, bei dieser Übung geht es immer hoch her - auch bei Erwachsenen. Es besänftigt sie, dass ich auch bei LehrerInnen schon viel unversöhnlichere Konfliktausgänge erlebt habe als es bei ihnen in diesem Spiel der Fall war. Nach und nach können sie auch anderes sehen: "Eigentlich ist es gar nicht schlecht, Konflikte im Spiel auszuprobieren. Wir müssen ja auch sonst mit sowas fertigwerden."

Dann kommt langsam zur Sprache, wie denn die unterschiedlichen Gruppenprozesse aussahen. Es zeigt sich, dass alles ganz hektisch abgelaufen ist. Eigentlich war es recht zufällig, was gemacht wurde. Nur wenige haben die Aktion bestimmt. Hier merken sie, dass das ja gar nicht notwendigerweise so sein muss. Man kann sich einmischen, abstimmen, verhandeln darüber, wie die Vorgehensweise aussehen soll. Am Ende finden sie die Übung doch ziemlich hilfreich. Sie meinen, sie haben viel gelernt.

Ergebnisse einer Nachbesprechung einige Wochen später:

Die SchülerInnen haben das Gefühl, sie gehen jetzt anders miteinander um. Es hilft ihnen beispielsweise, dass sie gelernt haben, dass jeder Dinge anders wahrnimmt, weil er andere Vorerfahrungen hat. Es wird jetzt häufiger schon mal nachgefragt, wenn man Dinge, die der andere tut, nicht versteht. Auch kommt es durchaus vor, dass sich `Unbeteiligte´ einmischen, wenn etwas geschieht, das sie nicht wollen - z.B. wenn jemand `fertiggemacht´ wird. Es passiert immer noch, aber andere hängen sich nicht mehr so leicht rein - im Gegenteil, die AkteurInnen ernten eher Missfallen. Die unterrichtenden LehrerInnen teilen diesen Eindruck.

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Fall D, Klasse 7: Noch ein Fall von Ausgrenzung - " ... und überhaupt wünschen wir uns eine bessere Klassengemeinschaft und weniger Unterrichtsstörungen".

Die Vorgeschichte:

Auch hier ist der Anlass für die Durchführung des Workshops ein krasser Fall von Ausgrenzung. In einem Gespräch, das die Mutter des Betroffenen mit Klassenlehrer und Schulleiter führt, gibt der Schulleiter zu bedenken, ob nicht ein Workshop, wie er in der 8 durchgeführt wurde, auch hier sinnvoll sei. Nach einigen Klärungen im Vorfeld entscheiden wir uns auch hier für die Durchführung eines zweitägigen Workshops. Die Bedingungen sind hier allerdings ungünstiger. Keine der Moderatorinnen unterrichtet in dieser Klasse. Eine Begleitung der Prozesse auch im Anschluss an die zwei Tage gestaltet sich so erheblich schwieriger. Deswegen machen wir zur Bedingung, dass Klassenlehrer und Deutschlehrerin dabei sein müssen.

Erläuterungen

Das bedeutet natürlich auch, dass wir bestimmte Erwartungen an die teilnehmenden LehrerInnen haben. Sowohl in Bezug auf die beiden Tage wie auch später. Die SchülerInnen sollten das Gefühl haben, dass ihre LehrerInnen wirklich dabei sind. Nur so können die LehrerInnen sich im Anschluss glaubhaft auf die beiden Tage beziehen und etwa daran erinnern, zu welchen Erkenntnissen wir in einzelnen Punkten gekommen sind. Denn auch das ist Teil des Konzeptes. Zwei Tage - völlig losgelöst aus dem Schulalltag - wären für alle Beteiligten sicherlich keine Basis dafür, auch nur irgendetwas in den Alltag zu integrieren. Deswegen würde ich raten, dass die begleitenden LehrerInnen viele Übungen einfach mitmachen. Nur bei wenigen bietet es sich nicht unbedingt an. Am Ende kann so das Gefühl stehen: Eine Klasse hat sich gemeinsam mit ihren LehrerInnen auf den Weg gemacht neue Verhaltensmöglichkeiten auszuprobieren.

Dies alles sollte im Vorfeld abgeklärt werden, damit die LehrerInnen wissen, was auf, sie zukommt, um dann zu entscheiden, ob sie sich auf eine solche Art der Arbeit einlassen können.

Der Workshop:

In diesem Fall haben wir zwei Themenschwerpunkte, wie nach der Eingangsbesprechung am ersten Tag deutlich wird. Ausgrenzung und Konflikte untereinander ganz allgemein und dazu natürlich noch die leidigen Unterrichtsstörungen. Also reduzieren wir die Arbeit im Themenbereich Ausgrenzung auf das unserer Meinung nach Unverzichtbare. Wie zuvor in der 8 machen den SchülerInnen die Spiele und Übungen großen Spaß. In den auch wichtigen Auswertungsphasen erinnern sie uns zuweilen daran, doch jetzt das nächste Spiel, die nächste Übung zu machen. Ausreichend Zeit nehmen wir uns daran anschliessend für die spezifischen Probleme der Klasse.

Zunächst bitten wir sie, in Kleingruppen typische Situationen, die sie stören, in Form von Statuen darzustellen. Danach einigen wir uns auf eine, die sich besonders gut spielen lässt, und arbeiten mit ihr in der Form des Eingreif-Theaters (nach Augusto Boal). D.h., wir spielen die Szene viele Male durch, weiten sie sogar aus, bis wir eine Variante gefunden haben, die uns allen besser gefällt als die Ursprungsszene. Ganz wichtig ist, hier zu sehen, welche Machtkonstellationen herrschen und wie diese auch veränderbar sind. Die scheinbar nicht Beteiligten haben die Macht, Dinge zu verändern.

Zum Abschluss erstellen wir auch hier ein Kartenszenario zum Thema: "Eine gute Klassengemeinschaft - `Was erwarte ich?´; `Was bin ich bereit dafür zu tun?´" Die Karte mit "ich will mich mehr einmischen" wählen wir bei der Strukturierung als Überschrift für die Seite `Was bin ich bereit zu tun?´.

Ergebnisse der Nachbesprechung drei Wochen später:

Es wird deutlich, dass die Klasse das Gefühl hat: "Es hat sich was verbessert." Marc ist der erste, der bestätigt: "Ja, es ist viel besser geworden." Er meint damit seine persönliche Situation, die der Anlass für unsere Intervention war. Als Kollegin K. und ich zu bedenken geben, dass FachlehrerInnen, mit denen wir in der Zwischenzeit gesprochen haben, diese Ansicht nicht teilen können, meinen die SchülerInnen: "Ja, das Ganze hat sich ja vorwiegend in den Pausen abgespielt. Und da ist vieles besser geworden." Erstaunt sind wir, als der Klassenlehrer uns berichtet, dass er sehr wohl auch im Unterricht eine Veränderung bemerkt hat. "Die Feindseligkeiten, die sonst häufig spürbar waren, sind jetzt nicht mehr so da."

Abschliessende Überlegungen:

Unser Fazit insgesamt für alle vier Fälle ist: Es lohnt sich, ganz konkret mit den Klassen ihre Probleme zu bearbeiten - und zwar genau auf ihre Bedürfnislage zugeschnitten. Ich denke auch es ist deutlich geworden, dass es nicht nur um Methoden geht. Vielmehr kommt es darauf an, SchülerInnen zuzutrauen, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und Entscheidungen zu treffen. Ihnen hier Wege anzubieten, Anregungen zu geben und ihnen gleichzeitig die Mitverantwortung für die Prozesse dieser Projekte zuzumuten, scheint mir der richtige Weg zu sein. Es muss auch klar sein, dass diese Prozesse Anstösse sind, die z.B. beim Problem der Ausgrenzung kontinuierlich neuer Anregungen und auch der weiteren Begleitung bedürfen (beispielsweise Aufgreifen aktueller Problemfälle und deren Bearbeitung nach der nun bekannten Methode des Eingreif-Theaters).

Ich hoffe, dass in allen vier Fällen für die SchülerInnen deutlich geworden ist, dass es nicht unsere Absicht war, sie "belehren" zu wollen. Denn auch ich meine (mit Wilhelm Heitmeyer): "Belehrung kommt gegen Erfahrung nicht an". Deswegen gilt m.E.: Je bedarfsgerechter das Angebot an die SchülerInnen ist (d.h., je näher es an ihren Erfahrungen und Problemen ist), desto mehr Chancen hat es, sie wirklich zu erreichen.

Ingrid Hubbig, Januar 1999